Falscher Baumschnitt - warum Kappungen unsere Bäume zerstören

„Kennen Sie eigentlich Alex Shigo?“
Eine einfache Frage, die bei der Auswahl eines Baumdienstes oder eines Baumkontrolleurs erstaunlich viel aussagt. Wer mit diesem Namen nichts anfangen kann, kennt in der Regel auch nicht die Grundlagen der modernen Baumpflege. Und genau da trennt sich die Spreu vom Weizen.

Daniela Antoni
Baumsachverständige

Bäume sind weit mehr als grüne Kulisse. Sie spenden Schatten, filtern Feinstaub, binden CO₂, geben Vögeln und Insekten ein Zuhause und steigern ganz nebenbei unser Wohlbefinden. Doch all diese Leistungen funktionieren nur, solange die Vitalität des Baumes stimmt.

Trotzdem sieht man in Städten, Dörfern und Gärten immer wieder das gleiche Bild: verstümmelte Kronen, kahle Stämme, riesige Schnittwunden. Was nach Pflege aussieht, ist in Wahrheit Zerstörung mit Ansage. Noch schlimmer: Viele Kommunen oder Nachbarn machen es vor und erwecken damit den Eindruck, so sei Baumpflege gedacht. Ein Trugschluss, der sich in den Köpfen festsetzt und die Spirale falscher Schnitte immer weiter antreibt.

Die Folgen sind gravierend. Falscher Baumschnitt schädigt nicht nur die Bäume, sondern sorgt für Sicherheitsrisiken, hohe Folgekosten und am Ende oft für die Fällung. Dieser Artikel zeigt, warum Kappungen und Starkastschnitte so fatal sind, welche biologischen Prozesse dabei eine Rolle spielen und wie fachgerechte Pflege und fundierte Baumkontrolle tatsächlich aussehen.

Was falscher Baumschnitt bedeutet

Falscher Baumschnitt umfasst alle Eingriffe, die gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen. Besonders verbreitet sind Kappungen, bei denen ganze Kronenteile auf Stummel gekürzt werden. Hinzu kommen Starkastschnitte, bei denen Äste mit mehr als zehn Zentimetern Durchmesser entfernt werden. Ebenso häufig sind unsaubere Arbeiten mit Stummeln, Kleiderhaken oder falsch geführten Schnitten, die keinerlei Rücksicht auf Baumart oder Alter nehmen.

Bild: Leon Droste

Warum so oft falsch geschnitten wird

Die Gründe sind vielfältig. Unwissen spielt eine zentrale Rolle, denn viele Menschen glauben, ein gekappter Baum sei kleiner, sicherer oder pflegeleichter. Billiganbieter werben zudem mit vermeintlich günstigen Preisen und verzichten dabei auf fachlich qualifiziertes Personal. In Ausschreibungen und Auftragsvergaben dominiert ebenfalls der Preis. Die Qualität der Arbeit bleibt zweitrangig. Wenn dann auch noch der Bauhof von Kommunen selbst als schlechtes Vorbild auftritt, ist der Schaden vorprogrammiert.

Warum Kappungen die natürliche Abwehr des Baumes ausschalten

Ein Baum kann kleine Verletzungen selbst verschließen, indem er Kallusgewebe bildet.

Die Schnitte sollten nicht größer als 10 cm sein. Denn bei großen Schnittflächen funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr. Eine Kappung zerstört die Schutzbarriere des Baumes vollständig. Die offenen Stellen bleiben unversiegelt und bilden ideale Eintrittspforten für Krankheitserreger wie Baumpilze. Diese führen zu einer innenliegenden Fäule, die den Baum nachhaltig schädigt.

Feuerschwamm (Baumpilz) an Kappungsstelle

Wie große Schnittwunden den Weg für Pilze und Fäulnis öffnen

Besonders kritisch ist der Unterschied zwischen Splintholz und Kernholz. Splintholz ist lebendig, transportiert Wasser und kann Infektionen aktiv bekämpfen. Kernholz dagegen ist tot und wehrlos.

Kappungsstelle mit Fäulnis und keiner Möglichkeit für den Baum die Wunde zu verschließen

Wird ein Starkast abgeschnitten, liegt in den meisten Fällen Kernholz frei. Pathogene können ungehindert eindringen. Die Folge ist eine langsame, aber stetige Fäulnis im Inneren, die den Baum über Jahre hinweg aushöhlt, bis die Stabilität endgültig verloren ist.

Reiterate als Notprogramm und Kostenfalle

Reiterate nach Kappungen

Nach einer Kappung reagiert der Baum mit Reiteraten, also massenhaften Nottrieben. Er versucht damit, die verlorene Blattmasse auszugleichen. Diese Triebe sind jedoch nur locker im Holz verankert und wachsen innerhalb kurzer Zeit zu langen, schweren Ästen heran. Die Gefahr von Ausbrüchen steigt dramatisch. Sie stellen ein Risiko für die Verkehrssicherheit des Baumes dar.

Plötzlicher Ausbruch aus der Oberkrone

Gleichzeitig beginnt ein kostspieliger Kreislauf, denn alle 3-5 Jahre müssen diese Neutriebe nachgeschnitten werden. Jeder neue Schnitt schafft wiederum frische Eintrittsstellen für Krankheiten. Aus einem billigen Angebot wird so ein teures Dauerabo.

Langfristige Auswirkungen falscher Pflege

Ein einmal gekappter Baum ist dauerhaft geschwächt. Die ursprüngliche Kronenarchitektur ist zerstört, die innere Statik aus dem Gleichgewicht gebracht. Fäulen breiten sich aus, instabile Kronenteile entstehen, und die Gefahr von Ast- oder Stammbrüchen steigt. Selbst wenn ein solcher Baum von außen vital wirkt, ist er in Wahrheit ein Sicherheitsrisiko. Am Ende bleibt oft nur die Fällung, und damit geht nicht nur ein ökologischer Wert verloren, sondern auch eine Investition, die über Jahre gepflegt werden sollte.

Zusendung aus der Community von Julia #Montagsbaum

Fachgerechte Schnittführung als Lösung

Der Schlüssel liegt in fachgerechter Pflege. Dazu gehört, Schnitte niemals durch Kappung, sondern immer über einen Zugast zu führen. Dieser muss mindestens ein Drittel des Durchmessers des entfernten Astes haben und in derselben Richtung wachsen.

So bleibt die Schnittstelle kontrollierbar und der Baum kann sie überwallen. Grundlage jeder Maßnahme muss eine qualifizierte Baumkontrolle sein, die festlegt, ob ein Schnitt überhaupt nötig ist. Arbeiten dürfen ausschließlich nach den Vorgaben der ZTV Baumpflege erfolgen. Bereits bei der Pflanzung entscheidet zudem die Wahl der richtigen Baumart, ob spätere Eingriffe erforderlich werden oder nicht.

Vorher-Nachher-Vergleich

Als Betrachter, darf man kaum einen Unterschied erkennen. Viel Schnittgut am Boden ist eher ein Warnsignal.

Gesellschaftliche Verantwortung und strukturelle Probleme

In Deutschland gibt es keine bundesweit einheitliche Baumschutzsatzung. Ob ein Baum geschützt ist oder nicht, hängt von der jeweiligen Kommune ab. Selbst dort, wo es Satzungen gibt, fehlt häufig das Personal für fachliche Baumkontrollen. Verstöße bleiben unbemerkt, falsche Pflege wird nicht geahndet. Auch Ausschreibungen sind ein Problem, solange sie allein nach dem niedrigsten Preis vergeben werden.
Falsche Pflege ist damit systemisch vorprogrammiert.

Fazit und Appell

Falscher Baumschnitt zerstört unsere Bäume.
Kappungen, Starkastschnitte und „billige“ Pflege sind keine Lösungen, sondern Baumverstümmelungen. Sie schwächen Bäume, machen sie unsicher und reißen Eigentümer und Kommunen in eine Spirale aus Folgekosten.

So bitte nicht:

  • keine Billigaufträge an Hausmeisterservices und von Baumpflegern die sich „gut verkaufen können“
  • keine Ausschreibungen nur nach Preis
  • keine Verstümmelungen aus Unwissen

So bitte ja:

  • qualifizierte Baumkontrolle vor jeder Maßnahme
  • Maßnahmenlisten für minimalen, gezielten Schnitt
  • Arbeiten nach ZTV-Baumpflege durch Fachfirmen

Am Ende kommt es zurück auf die einfache Fangfrage: „Kennen Sie eigentlich Alex Shigo?“ Wer hier ins Grübeln gerät, sollte weder einen Baum pflegen noch eine Kontrolle anbieten. Shigo hat uns gezeigt, wie Bäume funktionieren und warum Kappungen ihr Todesurteil bedeuten. Wenn wir seine Erkenntnisse ernst nehmen, können wir dafür sorgen, dass unsere Bäume nicht verstümmelt, sondern verstanden werden.