Heimisch war gestern – warum wir ohne fremdländische Baumarten keine Zukunftsstädte haben werden

Die Diskussion um heimische und nicht heimische Baumarten ist längst mehr als eine botanische Debatte: sie ist ein Spiegel unseres Umgangs mit Veränderung. Während der Klimawandel alte Gewissheiten auflöst, halten viele an vertrauten Symbolen fest. Doch wer die Zukunft des Stadtgrüns sichern will, muss neu denken. Dieser Artikel zeigt, warum fremdländische Arten nicht das Problem sind, sondern Teil der Lösung.

Daniela Antoni
Baumsachverständige

Die Zukunft ist nicht heimisch

Die Rot-Eiche (Quercus rubra) ist Baum des Jahres. Und prompt brennt das Internet.
Man möchte meinen, jemand habe die heimische Flora enteignet. Empörung allenthalben: Wie könne man eine „invasive, nordamerikanische Art“ zur Baumart des Jahres küren? Seit wann, so fragt man sich, lassen wir uns von Laien erklären, was Natur ist?

Die Wahl der Rot-Eiche ist kein Zufall, sondern ein Symptom. Sie steht wie kaum eine andere Art für den Konflikt zwischen Gefühl und Funktion, zwischen Ideologie und Ökologie.
Denn während in Kommentarspalten moralisiert wird, steht sie draußen im Park, trotzt der Dürre, färbt sich im Herbst spektakulär rot und macht, nichts weiter, als Photosynthese.

Was die Rot-Eiche provoziert, ist nicht ihr Laub, sondern unsere Haltung.
Wir lieben die Idee der „heimischen“ Natur, doch das Klima, in dem diese Idee entstand, gibt es längst nicht mehr.

Ideologien sind wie Monokulturen

Ideologien sind wie Monokulturen: Sie lassen keine Vielfalt zu und sie brechen zusammen, sobald sich das Klima ändert. Das gilt im übertragenen wie im ganz wörtlichen Sinn. Wer heute dogmatisch am Etikett „heimisch“ festhält, verwechselt Herkunft mit Eignung. Der Klimawandel fragt nicht nach Pässen, sondern nach Photosynthese, nach Trockenresistenz, nach Überlebensfähigkeit.

Die Wiener Studie von Johannes Wessely, Stefan Dullinger und Rupert Seidl (Nature Ecology & Evolution, 2024) hat das jüngst untermauert: Im Schnitt bleiben pro Standort in Europa künftig nur neun heimische Baumarten, die dem kommenden Klima gewachsen sind, ein Drittel bis die Hälfte weniger als heute. Und von diesen wenigen sind wiederum nur drei ökologisch wirklich tragfähig.


Das ist kein Wald-, sondern ein Systemproblem. Der heimische Werkzeugkasten wird leer.

Und wenn er im Wald leer wird, dann in der Stadt ebenfalls.

Vom Symbol zur Systemfrage

Die Debatte um die Rot-Eiche ist in Wahrheit eine über unser Verhältnis zur Realität.
Wir leben, als wären die Alpen noch gefroren und der Sommer eine Ausnahme. Doch in Parks, Alleen und Wäldern kippt längst die Balance.


Wer heute ausschließlich auf heimische Baumarten setzt, pflanzt Erinnerungen, keine Zukunft.

Die Rot-Eiche ist dabei nur die erste, die den Shitstorm abbekommt. Aber sie wird nicht die letzte sein. Denn der Klimawandel zwingt uns, neu zu denken: über Funktion, Herkunft und Verantwortung.


Herkunftsbias in der Artenwahl

Es gibt dafür inzwischen einen Begriff: Herkunftsbias in der Artenwahl. Er beschreibt die ideologische Fixierung auf die „richtige“ Abstammung einer Pflanze, so, als wäre Ökologie eine Familienangelegenheit.


Manche nennen es auch „vegetabilen Speziesismus“ oder, weniger akademisch, „Pflanzenrassismus“. So oder so: Es ist der Versuch, einer dynamischen, evolutiven, globalisierten Welt statische Grenzen aufzuzwingen. Das Problem: Das Klima verhandelt nicht.


Während wir noch Leitlinien schreiben, sucht sich die Vegetation längst ihren Weg.
Der Zürgelbaum (Celtis occidentalis), der Schnurbaum (Styphnolobium japonicum), der Amberbaum (Liquidambar styraciflua), die Robinie (Robinia pseudoacacia), sie alle werten Stadtstandorte längst auf, die unsere vertrauten Arten nicht mehr vital mitgehen können.
Sie tun, was Natur immer tut: sich anpassen. Nur wir hadern noch.

Der Götterbaum - unerwünschter Stadtbewohner

Kaum ein Baum ist so umstritten wie der Götterbaum (Ailanthus altissima). Er steht auf der EU-Liste invasiver Arten, darf nicht gehandelt werden und wächst trotzdem. Zwischen Pflasterfugen, an Bahndämmen, auf Brachflächen.


Er braucht keine Gießpläne, keine Substratstudien, kein Förderprogramm. Nur Aufmerksamkeit.

Er ist die personifizierte Klimaanpassung: unempfindlich gegen Hitze, tolerant gegen Schadstoffe, schnellwachsend und eigenwillig.


Natürlich muss man ihn managen, nicht romantisieren. Aber man sollte ihn auch nicht dämonisieren. Der Götterbaum zeigt, dass das Stadtökosystem längst seine eigene Evolution begonnen hat. Er ist vielleicht nicht der Baum, den wir wollten, aber einer, den wir brauchen.

BfN, Invasivität und Realität

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) stuft verschiedene Arten als „invasiv“ ein, eine sachlich richtige, aber oft fehlinterpretierte Kategorie. „Invasiv“ bedeutet lediglich: Diese Art hat die Fähigkeit, sich in bestimmten Kontexten stark auszubreiten. Nicht: Sie sei per se ökologisch schädlich.

Viele fremdländische Arten verhalten sich im urbanen Raum völlig unproblematisch.
Hier fehlen die komplexen Waldökosysteme, in denen sie dominieren könnten. Deshalb braucht es keine moralische Zensur, sondern funktionales Management: Monitoring, gezielte Entnahme, Raum für Zukunftsszenarien.

Statt pauschaler Verteufelung hilft ein nüchterner Blick:
Ein vertrockneter Jungbaum ist kein Symbol für Biodiversität. Er ist ein Mahnmal für Verdrängung durch Dogma.

Vielfalt statt Dogma - Wege zum resilienten Stadtgrün

Stadtgrün ist kein Heimatmuseum, sondern ein Labor für Zukunft. Wer es ernst meint mit Klimaanpassung, braucht Experimentierfreude, Vielfalt und Gelassenheit.
Städte wie Zürich, Frankfurt a.M., Erfurt oder Wien machen es längst vor mit Artenversuchen und klimaangepassten Pflanzlisten.

Natürlich birgt Vielfalt Risiken. Aber Monokulturen sind sichere Katastrophen.
Klimawandel bedeutet, die Karten neu zu mischen. Und wer nur die alten behalten will, spielt bald ohne Blatt und verliert.

Fazit: Management statt Moral

Die Wiener Studie hat es gezeigt: Der heimische Artenpool reicht nicht aus, um unsere Wälder, geschweige denn unsere Städte, zu stabilisieren. Fremdländische Baumarten sind keine Bedrohung, sondern Teil der Antwort auf den Klimawandel, ganz besonders im Stadtökosystem.
Die Rot-Eiche ist dafür Symbol und Versuch zugleich: robust, umstritten, zukunftsfähig.

Wir können weiter an alten Symbolen festhalten oder beginnen, das Stadtgrün als lebendiges, dynamisches System zu verstehen. Eines, das wächst, wenn wir es lassen. Eines, das Vielfalt nicht fürchtet, sondern nutzt. Denn die Zukunft ist nicht heimisch. Aber sie kann grün sein.